EPOCHEN IN BACKSTEIN

Die Historie des Alten Rathauses

Gründung und frühe Nutzung (1230–1300)

Das Alte Rathaus entstand um 1230 als erster steinerner Profanbau Hannovers: Im Keller („cellarium civitatis“) lagerten Kaufleute Wein und Textilien, luden Händler ihre Waren aus und empfingen Reisende. Darüber befand sich das „theatrum“, in dem der Rat tagte, Hochzeiten gefeiert wurden und manchmal Schandtaten öffentlich am Pranger gerichtet wurden. Schon damals war „Dat Hus“ zentraler Treffpunkt für Handel und Bürgerversenken.

Backsteingotik und Stadtentwicklung (14. Jahrhundert)

Im frühen 14. Jahrhundert veränderte sich Hannover: 1349 ließ man die Marktkirche abreißen, verteilte den Schutt über dem Platz und erhöhte so das Niveau um etwa einen Meter. Das ehemals ebenerdige „cellarium“ versank – der Raum wurde zum heutigen Keller. Gleichzeitig erhielt der Bau eine Backsteinverkleidung, Spitzbogenportale und segmentbogige Fenster, sodass Rathaus und Marktkirche bald zu den südlichsten Vertretern norddeutscher Backsteingotik zählten.

Aufstieg im 15. Jahrhundert: Staffelgiebel und Turmfries

Zwischen 1409 und 1413 erweiterte man den Komplex an der Schmiedestraße; 1453–1455 gestaltete man den Marktflügel komplett neu. Mit der aufkommenden wirtschaftlichen Blüte des 15. Jahrhunderts kamen aufwendige Staffelgiebel hinzu, flankiert von einem umlaufenden Turmfries und kunstvollen Dachgauben („Lukarnen“). 1490 wurde an der Köbelingerstraße die Laube errichtet, an der fortan ein Pranger befestigt war – ein Symbol für Recht und Ordnung mitten im Markttreiben.

Renaissance-Erweiterungen und städtisches Leben (1566–1577)

1566/67 verband man Gotik und Renaissance: An der Köbelingerstraße entstand der Apothekenflügel mit zwei steinernen Stockwerken und zwei aufwendig geschnitzten Fachwerkgeschossen, in denen 1568 Hannovers erste Apotheke eröffnete. Bereits 1576 setzte man einen steinernen Erker für prunkvolle Huldigungsfeiern auf den Marktflügel – die Innen- und Außenbemalungen versetzten Besucher in Staunen. Ein Jahr später, 1577, baute man im Erdgeschoss eine neue Schänke mit Treppenaufgang zum Marktplatz, die zum Treffpunkt für weinselige Abende wurde.

18. und Frühes 19. Jahrhundert: Putzschichten und Verfall

Ab 1720 überzog man die Außenmauern mit weißem Putz, zeichnete Eck- und Sockelquaderungen an und verlieh dem Rathaus ein einheitlicheres Antlitz. Doch schon im 19. Jahrhundert zeigte sich seine Bausubstanz wenig wertgeschätzt: 1828 entfernte man Dachreiter, baute einen Erker ein und füllte Teile der Fassade mit Scherenschleiferbuden, sodass das Gebäude an Würde verlor. Weil die Apotheke um 1840 auszog, richtete man im ehemaligen Apothekenflügel winzige Gefängniszellen ein – kaum sicherer als zuvor.

Bürgerinitiative und der „Dogenpalast“ (1844–1856)

Die Abrisspläne für 1844 stoppte erst eine Bürgerinitiative: Statt komplett neu zu bauen, entfernte man nur den Apothekenflügel und errichtete an seiner Stelle den neoromanischen „Dogenpalast“, inspiriert vom Palazzo Ducale in Venedig. Weitere Verwaltungsteile zogen 1856 aus, sodass der Bau vor dem Verfall gerettet wurde.

Restaurierung durch Conrad Wilhelm Hase (1875–1891)

Der Wendepunkt kam 1875, als Conrad Wilhelm Hase mit seinen Entwürfen begann. Er entfernte konsequent alle späteren Einbauten, um das mittelalterliche Erscheinungsbild zurückzugewinnen. Wo historische Befunde fehlten, ließ er sich von seinem inneren Bild leiten und fügte im Stil des 15. Jahrhunderts einen Treppenturm ein. 1882 feierte ganz Hannover die Wiedereröffnung: Tausende drängten sich auf dem Marktplatz, um das rekonstruierte Rathaus zu bewundern. 1891 schloss Hase den vierten Flügel zur Karmarschstraße hin, sodass der Komplex erstmals als geschlossener vierflügeliger Hofbau dastand. 1900 unterkellerte man den Innenhof, 1907 zog die Stadtsparkasse in den Karmarschstraßenflügel.

Zerstörung und Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg (1943–1954)

1943 änderte sich alles: Durch Bombenangriffe wurden Markt- und Schmiedestraßenflügel bis auf die Umfassungsmauern zerstört. Im „Dogenpalast“ und Gefängnistrakt beschränkten sich die Schäden auf die Innenräume, der Karmarschstraßenflügel blieb fast unversehrt. Zwischen 1951 und 1954 baute man nach Hases Plänen wieder auf, verzichtete jedoch auf filigrane Dachformen und verlegte einige Eingänge. Der unversehrte Treppenturm und historische Wandbereiche fielen dem Innenausbau der 1950er-Jahre zum Opfer.

Modernisierung und Denkmalschutz (1970er Jahre – heute)

In den 1970er-Jahren öffnete man das Erdgeschoss des Karmarschstraßenflügels zu Arkaden mit zweigeschossigen Ladeneinbauten, legte einen U-Bahn-Abgang an und erneuerte den Innenhof. Die Denkmalpflege kehrte schließlich die Betonüberdachung um 2000 zugunsten der originalen Blendarkaden und des Terracottafrieses der „Hannoverschen Schule“ heraus, sodass der Hof wieder in seiner ganzen Pracht erlebbar wurde.

Heute: Vierflügeliger Komplex als Touristenmagnet

Heute steht das Alte Rathaus als vierflügeliger Komplex mit markanten Staffelgiebeln, reicher Reliefdekoration und Renaissancemotiven auf dem Marktplatz. Besucher betreten über die historische Laube an der Köbelingerstraße den venezianischen Festsaal („Dogenpalast“). Die Fassaden zeigen Wappenreihen, Brustbilder kurfürstlicher Herrscher und den charakteristischen „Neidkopf“ – ein Sandsteingesicht aus dem 16. Jahrhundert. Im Innenhof sind die Rundbogenarkaden und der Terracottafries der Hannoverschen Schule wieder vollständig zu sehen. Heute zählt das Alte Rathaus dank seiner gut erhaltenen Bausubstanz, seiner Wandlung durch Jahrhunderte und seiner vielseitigen Nutzung zu den wichtigsten touristischen Zielen Hannovers.

Anfragen und weitere Informationen: assistenz@hrg-hannover.de

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